Geh weg! Nein, bitte bleib! Die emotionale Achterbahn von Nähe und Distanz

Ich brauche Abstand und Nähe!

Es war der erste gemeinsame Urlaub mit meinem Partner – sieben Tage voll Sonne, Strand und ununterbrochener Zweisamkeit – eine Vorstellung, die mich vor Freude strahlen ließ. Am Anfang schien alles perfekt, der erste Abend war wunderschön. Doch schon am zweiten Tag beim Frühstück überkam mich ein seltsames Gefühl. Ein leises Flüstern in meinem Inneren rief: „Hier wird es mir zu eng. Ich muss kurz weg“.

Verwirrt von diesem inneren Zwiespalt bat ich am dritten Tag meinen Partner, einige Stunden getrennt voneinander zu verbringen. Ich machte einen langen Sparziergang und fragte mich, was denn in mich gefahren war. So viele Jahre hatte ich mich geradezu schmerzhaft nach Nähe gesehnt und nun, wo sie endlich da war, war sie mir zu viel.

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Kennst du das Wechselspiel zwischen Nähe- und Distanzsehnsucht?

Dieser innere Konflikt, wenn du dir sehnlichst Nähe wünschst und gleichzeitig spürst, wie sich bei zu viel Nähe deine inneren Alarmglocken melden. „Ich will Nähe und brauche Abstand“ – ein Dilemma, das viele von uns kennen. In diesem Blogbeitrag gehen wir dieser emotionalen Achterbahn auf den Grund und beleuchten, warum sich dieses Paradox oft bis in unsere Kindheit zurückverfolgen lässt.

Die Sehnsucht nach echter Nähe

Mann küsst ein Baby - Nähe brauchen wir von Beginn an

Von frühester Kindheit an streben wir nach emotionaler und körperlicher Verbindung, da sie die Basis für eine gesunde psychosoziale Entwicklung, für Vertrauen und Wohlbefinden ist. Diese Sehnsucht ist nicht auf das Bedürfnis nach oberflächlichem oder rein körperlichem Kontakt beschränkt, sondern umfasst die tiefe Sehnsucht nach emotionaler Verbundenheit.

Echte Nähe bedeutet:

  • sich emotional nackt vor dem anderen zeigen
  • Gefühle voreinander zulassen
  • Schwächen zeigen dürfen
  • Ängste offenbaren
  • alle Rollen des Alltags loslassen und sein wahres Ich zeigen
  • intimste Träume, die vielleicht viel zu hoch gegriffen erscheinen, teilen
  • oder auch einfach miteinander schweigen

Und sich mit alledem angenommen und geliebt zu fühlen.

Warum brauchen wir diese Nähe so dringend?

Es liegt an der neurobiologischen Verflechtung von Bindung und Belohnung. Unser Gehirn belohnt uns mit Glückshormonen wie Oxytocin und Dopamin, wenn wir uns emotional mit anderen verbinden. Diese neurochemischen Reaktionen machen uns nicht nur glücklicher und selbstbewusster, sondern haben auch nachweisbar positive Auswirkungen auf unsere Gesundheit.

Gerade Kinder benötigen diese Nähe besonders. Sie ist gleichzusetzen mit Energie – Energie, die sie brauchen, um emotional zu wachsen, resilient und selbstliebend zu werden.

Im Erwachsenenalter variiert die Sehnsucht nach Nähe von Mensch zu Mensch, aber es ist auffällig, dass Personen, die in ihrer Kindheit weniger Nähe erfahren haben, oft eine intensivere Sehnsucht danach verspüren. Es ist in etwas so, als würden sie versuchen, die Nähe, die ihnen als Kind gefehlt hat, nachzufordern. Ein natürlicher und eigentlich auch gesunder Mechanismus.

Kindheit als Wurzel: Wie die Vergangenheit die Gegenwart prägt

Allerdings tun sich bei einem sehr hohen Nähebedürfnis im Erwachsenenalter meist zwei grundlegende Probleme auf. Nummer eins ist der Klassiker – das Klammern. Menschen, die mehr Nähe brauchen, als sie bekommen, haben sich meist unbewusst die Schutzstrategie „Klammern“ angeeignet, weil sie auf den ersten Blick als zielführendes Verhalten gedeutet wird.

Das Problem aber ist, dass jeder von uns auch ein Distanzbedürfnis hat. Wenn ein Klammerer sich an seinem Partner auslebt, wird es dem oft zu viel und es kommt zu schmerzhaften Ablehnungen und Rückzug. Der Betroffene fühlt sich häufig in die Kindheit zurückversetzt, weil er damals eine ähnliche Enttäuschung erlebt hat und seine Sehnsucht nach Nähe ungestillt blieb.

Die 4 verborgenen Ängste hinter zu viel Nähe

Findet man aber jemanden, der das eigene Nähebedürfnis erwidert, kann es zu einem sehr paradoxen Phänomen kommen, nämlich der plötzlichen Angst vor zu viel Nähe. Aber wie kommt es dazu und was genau steckt hinter der Angst?

1. Ungewohntes erzeugt Stress

Du kannst es dir so vorstellen. In den letzten 20, 30 oder 40 Jahren hast du immer nur ein Minimum an Nähe erhalten. An dieses Minimum hast du dich gewöhnt. Es war zwar nicht schön, aber du hast irgendwie einen Umgang damit gefunden und bist gut durchs Leben gekommen. Wenn dir nun plötzlich jemand Mengen an emotionaler und körperliche Nähe zukommen lässt, kann sich das anfühlen wie eine Überdosis. Weil du es nicht gewohnt bist, erzeugt es in dir Stress.

2. Angst davor, jemand könnte dein wahres Gesicht sehen

Und dann ist da noch die Angst davor, dass dich jemand wirklich kennenlernen könnte. Dein Leben lang gab es zwischen dir und den anderen einen Sicherheitsabstand, aber jetzt, wo jemand dir so nahekommt, kannst du nichts mehr verbergen. Alte Überzeugungen und Selbstzweifel kommen hoch. Was ist, wenn er bemerkt, dass ich doch nicht gut genug bin? Was ist, wenn er den Vorhang, hinter dem ich mich jahrelang versteckt habe, öffnet und mein wahres Ich entdeckt? Und was geschieht, wenn ihm das nicht gefällt?

Wenn du mit dieser Angst in Resonanz gehst, ist klar, dass es noch einige negative Überzeugungen und schmerzhafte Wunden aus deiner Kindheit gibt, die geheilt werden möchten.

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3. Angst vor dem Verlassenwerden

Die Angst davor, jemand könnte dein wahres Gesicht erkennen und es ablehnen, entfacht auch gleich noch eine weitere Befürchtung – nämlich die Furch vor dem Verlassenwerden. Wenn man es wagt, jemanden ganz nahe an sich heranzulassen, findet sich dieser jemand sehr schnell in unserem Herzen wieder.

Oftmals wollen wir genau das unbewusst vermeiden. Wir versuchen uns so gegen das Risiko, verlassen und verletzt zu werden, zu schützen. Vor allem dann, wenn wir Ähnliches in der Kindheit erlebt haben.

4. Angst vor Kontroll- und Unabhängigkeitsverlust

Ein weiterer Grund, warum uns Nähe Angst machen kann, ist der mögliche Verlust von Kontrolle und Unabhängigkeit. Da wir bisher immer mit wenig emotionaler Nähe auskommen mussten, haben wir gelernt, uns selbst durchzuschlagen. Auch wenn es nicht immer einfach war, es war zumindest sicher, denn auf uns selbst war Verlass.

Nähe zu jemand anderem bedeutet aber nun mal auch, sich hinzugeben und das ist nur möglich, wenn wir beginnen, einen Teil der Kontrolle und einen Teil unserer Unabhängigkeit abzugeben. Aus Angst vor Enttäuschung, aber auch, weil wir es gewohnt sind, selbst für unsere „Sicherheit“ zu sorgen, kann dies sehr schwierig sein.

Die Dualität unserer Emotionen

Und so kommt es häufig dazu, dass wir uns Nähe zwar sehnlichst wünschen, aber sie nicht immer annehmen können. Aus eigener Erfahrung weiß ich, das muss nicht so bleiben. Unsere Vergangenheit hat uns zwar geprägt, aber wir sind nicht unsere Vergangenheit. Wir können Überzeugungen, schmerzhafte Erlebnisse, Enttäuschungen und in weiterer Folge auch Handlungsmuster durch mentale Interventionen umprogrammieren.

Wege aus der emotionalen Zwickmühle: Impulse für Veränderung

Als Erste-Hilfe-Schritte, wenn du ein Nähe-Distanz-Problem hast, fasse ich dir hier die wichtigsten Tipps zusammen.

Erkenne dein Nähe- Distanzbedürfnis und setze Grenzen

Im ersten Schritt ist es wichtig, dass du dich wohlfühlst. Über deine Grenzen zu gehen und Nähe im Überfluss zuzulassen, würde mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen. Finde zuerst für dich heraus, wie viel Nähe dir im Moment guttut und kommuniziere deinem Partner offen deine Grenzen.

Kommuniziere offen

Teile deine Gefühle und auch deine Befürchtungen offen mit deinem Partner. Eine Angst ehrlich anzusprechen sorgt oft dafür, dass dir dein Gegenüber helfen wird, diese Angst kleiner werden zu lassen. Denk daran – Schwäche zu zeigen, ist eine Stärke und das wird auch dein Partner erkennen, wenn er der Richtige ist.

Baue eine gute Beziehung zu dir selbst auf

Ein Buch und ein Kaffee - Me-Time Zeiten sind wichtig für die Nähe zu dir selbst

Wenn du Angst davor hast, dass jemand dein wahres Gesicht erkennen und dich ablehnen könnte, ist dies ein klares Indiz dafür, dass du dich selbst höchstwahrscheinlich noch immer ablehnst. Versuche daher eine positivere Beziehung zu dir selbst aufzubauen. Sorge für regelmäßige Me-Time-Einheiten, praktiziere Meditationen und versuche im Alltag so für dich selbst zu sorgen, wie eine liebevolle Mutter für ihr Kind.

Reflektiere deine Kindheit und besuche dein inneres Kind

Schaue ganz bewusst zurück in deiner Kindheit und reflektiere die Ursachen für dein Nähe-Distanz-Bedürfnis, denn dort wirst du den Ursprung deiner Muster und deiner Ängste mit hoher Wahrscheinlichkeit finden. Die Arbeit mit deinem inneren Kind, mit seinen Verletzungen und Überzeugungen wird dir dabei helfen, deine Beziehungsmuster zu verstehen und zu transformieren.

Und wenn du dir dabei Unterstützung wünschst, dann gehe gerne deinen ersten Schritt mit mir gemeinsam und schau dir mein kostenloses 35-Minuten-Webinar: Du bist goldrichtig – Liebe für dein inneres Kind an.

Herzlich, deine Melanie

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